Bisi Late to the Party wieder einmal, aber ich möchte meine Gedanken zu der Causa #Groenemeyer auch teilen. Schauen wir ma,l ob’s eine #NatsAnalyse wird, aber ein paar Strategien fallen auf. Hier bröckelt etwas weg und gerade in Deutschland alarmiert das, in Österreich haben wir uns dran gewöhnt.
Wer es noch nicht gesehen hat, es geht darum, dass Herbert Grönemeyer in Wien zwischen zwei Liedern eine ein-minütige Ansprache gegen Rechts gehalten hat. Da ist weder was Neues noch etwas außerhalb des Konsens dabei, möchte man meinen.
— Kurt Fischer (@FischerKurt) 12. September 2019
Doch dann bereiten Medien und Faschist_innen sich gegenseitig das Geschäft, ob willentlich oder nicht, bewusst oder unbewusst. 4 Rechtsextreme regen sich auf und schlagen Radau und Medien schreiben plötzlich von „kontrovers“. Damit übernehmen sie den Spin der Faschist_innen.
Weil es natürlich eine sexy Story ist: bekannter Sänger, irgendwas mit Nazis und dingdingding KONTROVERSE. Das gibt Clicks, das gibt Auflage. Und genau diese Logik haben viele Faschist_innen längst raus und spielen damit. Es war die längste Zeit das Geschäftsmodell der Identitären:
Gesellschaftlicher Konsens wird von rechts angegriffen und so getan, als sei auch nur irgendetwas Anrüchiges an einer Selbstverständlichkeit. Medien nehmen das gierig auf und erzeugen dadurch erst die ursprünglich behauptete Kontroverse.
Denn 7 Fascho-Accounts auf Twitter reichen nicht aus für eine Kontroverse, aber wenn in einer angesehenen Zeitung steht, dass es kontrovers ist, dann wirkt das in die Gesellschaft hinein. Dann beginnen Leute darüber nachzudenken, ob es vielleicht doch nicht ganz koscher ist.
Das ist eine Verunsicherungsstrategie, deren Akteure gut erkannt haben, wie sehr Journalist_innen unter Druck sind und dass sie immer wieder einen Burner brauchen, um relevant zu sein. Und irgendwas im Sinne von „Linke sind sie eigentlich Faschisten“ geht immer.
Die Sache ist nur: Während die Journalist_innen halt Clicks und Auflage sehen, ist es den Faschist_innen wirklich ernst. Denn mit diesem beständigen Wegchippen des gesellschaftlichen Konsens, wollen sie ihre Logiken voran treiben.
Wenn wir es bis jetzt common sense fanden, dass man gegen Nazis ist und es plötzlich kontrovers wird, gegen Nazis zu sein, dann entsteht ein diskursiver Leerraum. Weil eine Selbstverständlichkeit wegfällt. Und diese wird dann gleich von Rechts gefüllt:
Nazis haben halt auch eine Meinung und es ist undemokratisch, wenn man öffentlich gegen sie ist, weil auch, wenn man nicht der selben Meinung ist, sollen sie diese äußern dürfen. Diese Logik tritt an Stelle des bisher Selbstverständlichen.
Aber Nazis haben nicht nur einfach eine Meinung unter Vielen in einer pluralen Demokratie. Nazis sind das Ende jeder Demokratie, jeder Pluralität, jedes Diskurses, jeder Meinung. Sie sind die Negation von Allem, was wir auch im Ideal der bürgerlichen Demokratie hochhalten. Meint man.
Und wenn ihr mir nicht glaubt, dann nehmt es von dem Mann, mit dem Grönemeyer irrwitzigerweise verglichen wird: Joseph Goebbels. Hier aus seinem Tagebuch.
Diese Bizarro-Vergleiche und -Analogien sind übrigens auch eine bewusste Strategie: Linke mit Rechten vergleichen. Linke sind Nazis, Antifaschismus ist Faschismus, wenn der Faschismus wiederkommt…, Meinungsfaschismus, Rotfaschisten, Linke Nazis etc. pp
Die Idee dahinter ist einerseits die Provokation: es ist so abstrus und tut weh, dass man sich dagegen wehren muss. Aber sobald man es diskutierbar macht, ist vielleicht dann ja doch etwas dran. Und es immunisiert die Rechte. Wenn die Nazis die Linken sind, dann sind die Rechten die Guten.
Dabei findet vor allem eine Stil-Analogie statt. In diesem Fall: Jemand hat in einem dunklen Saal vor vielen Leuten etwas ins Mikro gebrüllt und Leute haben geklatscht. Das ist genauso wie es Goebbels damals gemacht hat. Perfide.
Weil wir visuelle Wesen sind, funktioniert das Bild viel besser als das gesprochene Wort und deswegen wirkt diese Analogie. Wir wissen vielleicht nicht, WAS Goebbels gesagt hat, aber es war schon irgendwie ähnlich, jetzt wo wer drauf aufmerksam macht.
Jetzt könnte ich lang und breit über den rhetorischen Stil von Goebbels reden, aber das wird wirklich zu lang. Nur so viel: Grönemeyer ähnelt ihm nicht. Goebbels Punchline war immer die zelebrierte Niedertracht. Das genüssliche Treten nach Unten. Die Bösartigkeit.
Das auch nur im Ansatz mit Grönemeyer zu vergleichen, ist infam. Nur weil eine Analogie aus einer Szenerie gebastelt wird, die täglich vorkommt (jemand spricht in einer Halle vor Menschen). Aber sie wirkt halt. Und weil sie so provokant ist, wird sie wiederum medial verbreitet.
Und das wirklich Alarmierende ist, dass in der zweiten Runde, als Rezeption auf die durch Kalkül gespinnten Nazi-Frames, Konservative kommen und fröhlich mitmachen. Nicht, weil sie auch Nazis sind (sind sie nicht), sondern weil sie es den Linken zeigen wollen. (Tweet eines ÖVPlers)
Und genau dann haben wir den Salat: Medien, die mit Angstlust jeden Nazi-Spin mitnehmen, Konservative, die ihren Grant auf Linke mit einer (unbewussten) Fraternisierung mit Nazis ausleben und antifaschistischer, gesellschaftlicher Konsens, der heftig bröckelt.
Das waren im Übrigen auch die Zutaten der diskursiven Zerschreibung der Weimarer Republik. Man könnte es halt besser machen als damals. Nur so als Gedanke.