Wieder einmal 2 Tage nach allen Anderen, aber schauen wir uns doch nochmal an was da eigentlich kommunikativ passiert ist bei d Interview von @Wachter_AL mit Kurz. Es geht dabei nicht nur um die kolportierte „Hirn“-Passage. Das Itv kippt schon viel früher
Interessant ist ja schon das Setting, das ganz klar von den Pressemenschen des Bundeskanzlers so arrangiert wurde. Immer wenn er alleine im Bild ist, wird er von der Österreich- und der EU-Fahne auf der linken Seite (von ihm aus) gerahmt.
Damit ist er auf dem ersten Blick als Staatsmann und Kanzler ersichtlich. Mit so einer Inszenierung ist er nicht alleine, das machen Alle so (wenn man sie lässt), aber aufzeigen sollte man es auch immer wieder. Er vermittelt damit eine besondere Stellung. Auch im Interview.
Und dann macht Alexandra Wachter etwas mit dem er augenscheinlich nicht gerechnet hat: Sie nimmt ihm seine Antwort vorweg. Sie zitiert die Zeit und @FlorianGasser mit dem Vorwurf der Anti-EU-Pose u beantwortet die Frage aber aus Kurz Sicht gleich selbst. (Rabatt, für Österreich)
Und dann macht sie noch etwas, was man normalerweise so nicht sieht: Sie stellt Augenhöhe her. Sie vergleicht ihr Alter, suggeriert eine gemeinsame Lebensrealität jetzt und im Aufwachsen. Sie vollzieht damit einen Perspektivenwechsel (den sie auch so anspricht).
Und sie kontextualisiert nicht nur Kurz‘ Verhalten, sondern ihn selbst. Als Person. Er ist nicht ein Über den Dingen schwebender Messias, sondern ein 33-jähriger Mann aus Österreich, der dank der EU in Frieden aufwachsen durfte. (Ganz unabhängig davon, ob man dem zustimmt)
Es passiert hier ein Frame-Wechsel. Von „wir vs die EU dank eines starken Mannes“ zu „Einer von Vielen, der von der EU sein ganzes Leben profitiert“. Wie gesagt: Es geht nicht darum, ob man diesem Bild der EU zustimmt, sondern das unterschiedliche Frames verwendet werden.
Und nach 1 Minute ist damit das Interview eigentlich schon fast vorbei, w Kurz mit diesem Framewechsel das ganze Interview lang nicht mehr zurecht kommt. Er kann sich d ganze Interview nicht mehr davon lösen, d Wachter den diskursiven Boden eingeebnet hat bevor er gesprochen hat.
Er versucht sofort (und das ganze Interview lang, auch beim Thema Corona) diesen Abstand wieder herzustellen. Die allererste Antwort ist dementsprechend nicht die vorgefertigten Punkte, die wir schon in der ZIB 2 gehört haben (Fr, D, alles gut, hart verhandelt).
Er geht in seiner ersten Antwort, gleich zu Beginn in die Defensive. Das sieht man bei Kurz sehr sehr selten. Es gibt genug Tricks u Kniffe wie man sich b Anschuldigungen sofort in d Offensive bugsiert (in der ZIB2 hat man das gut gesehen – Sie wissen ja, Herr Wolf, ganz normal)
Aber bei diesem Interview stört ihn die Einebnung v Wachter anscheinend so sehr, dass er sein Skript verlässt. Gleich zu Beginn. Er versucht Abstand wieder herzustellen in dem er auf Erfolge verweist – gewonnene Wahlen. (Ich bin ja wer, ich bin außergwöhnlich, mach das erst mal)
Zur Erinnerung: Wir sind hier in Minute 1:08 (von 12:31) d Itvs u eigentlich ist es schon völlig eskaliert. Er kommt d ganze Zeit nicht in d bekannten Duktus (Bescheidenheit, Opfer, Messias), er versucht es, aber er hält es nicht durch, immer wieder Defensive, Abstandsgewinnung
Das liegt auch daran, dass Wachter ihn auch nicht ins lange Erzählen kommen lässt. Sie unterbricht ihn und bringt ihn wieder zurück auf die Frage. Und sie hackt nach und spricht nicht die Ergebnisse sondern das „Verhalten“ an. Man merkt wie provoziert er sich davon fühlt.
Die rhetorischen Gegenangriffe und Giftpfeile zurück sind erst subtil, zum Beispiel wird die „deutsche Zeitung“ (die Zeit) geschickt verpackt mit „D und Fr dealen sich immer alles aus“. Als steckten die Zeit (und Wachter, als die die zitiert) mit denen unter einer Decke gegen Ö.
Und dann wird es gleich heftiger „Sie waren nicht dabei“ und ein belehrender Tonfall. Soll klar machen „Ich weiß mehr. Ich bin wichtiger. Du hast keine Ahnung. Wir sind nicht auf einer Ebene.“ Diese Patzigkeit und Arroganz sieht man nicht oft und ist außerhalb des Skripts.
Er versucht dann wieder zu seinen bekannten Punkten zu kommen. Ich habe hier sehr viel (wie immer halt) dazu geschrieben -wie d langweilige EU-Gipfel zur Heldengeschichte wird. Nur lässt ihn Wachter nicht „Das ist alles bekannt“ ist so elegant wie effektiv.
Sie lässt seine Narrative nicht zu. Man merkt b dieser Stelle sehr wie sehr ihn das stört: Er fällt ihr b „Das ist alles bekannt“ sofort ins Wort u kontert patzig mit „Welche Aussagen haben Sie gestört?“. Als wäre sie keine Journalistin, sondern jemand, d es nicht verstanden hat.
Die ganze Haltung ist „komm ich erkläre es dir, was ist d Problem“. Absolutes No-Go natürlich. Paternalistisch, personalisierend, arrogant u völlig aus der Rolle gefallen. Da deutet sich schon an wo das Itv noch hin geht. Wachter bleibt cool, zitiert Politiker. (nicht persönlich)
Wir sind hier noch immer ganz am Anfang d Interviews, aber es ist schon sehr explosiv und eskalativ. Er erholt sich gerade in dieser Passage überhaupt nicht davon u es mündet in d bekannten „Sie haben ja e eigenes Hirn“-Sager. Damit möchte er es zu einer persönlichen Sache machen.
Es geht noch immer darum, dass Wachter und er eben nicht auf einer Stufe stehen und wenn sie persönlich ein Problem mit ihm hat, dann hat sie es offenbar nicht verstanden und sie muss besser zuhören und er erklärt es ihr. Wir sind also immer noch bei d Bekämpfung des Anfangsframe.
Und immer wenn Kurz zum langen erzählen ansetzen will unterbricht ihn Wachter. Das Bier mit dem polnischen Regierungschef, wir 5 „nicht schlechte Länder“ vs die Andere, Verhandlungstaktik – all diese inhaltlichen Bausteine lässt sie sich nur e Zeit bieten. Schmeckt ihm gar nicht.
Und immer eskalativer wird er. Er lehnt sich vor im Sitz („Attacke“) und beschuldigt sie patzig und süffisant mit rhetorischen Fragen gegen Österreichs Interessen zu sein: „Sollten wir Ihrer Meinung nach mehr überweisen“. Sie bleibt auch hier cool und gibt Takt und Themen vor.
An diesem Punkt kulminiert das davor auch noch und er tut so als wäre die Interviewerin unglaubwürdig, weil sie ihn mit verschiedenen Kritiken konfrontiert. („Zu viel vs zu wenig zahlen“). Er versucht es noch immer als persönliche Kritik von ihr an ihm zu framen.
(ich habe gerade erst 5 Minuten dieses Interviews durch. Man könnte darüber eine Seminararbeit schreiben. Ächz.)
Nach einer absurd langen pampigen Episode, wo er nicht mehr bereit ist die Fragen zu beantworten fängt er sich wieder und versucht wieder in seine Rolle zu finden und nach Skript zu handeln. Man merkt aber wie prekär die Position ist. Es ist an der Grenze zur Belehrung.
Er macht was er gut kann und auch schon im ZIB-Itv gemacht hat: Mit großen Zahlen hantieren, die wir nicht einordnen können, aber beeindruckend klingen. Er als Robin Hood für uns gegen die EU. Das ist die Passage wo er am besten das rüberbringen kann, was er möchte.
Nur kommt gleich darauf e wirklicher Meisterkniff von Wachter: Sie geht nicht einmal darauf ein. Sie fragt ihn nach einer anderen Zahl (wieviel zahlt Ö ein). Er laviert rum, sagt dann 4 Mrd. Wachter sagt 2018 waren 1,3, lässt es so stehen u wechselt das Thema. Er ist… sprachlos.
Sie hat ihn an dieser Stelle mit seinen eigenen Mitteln geschlagen und sei Robin Hood-Narrativ zerstört. Natürlich gehört da ganz viel noch dazu erzählt zu dieser Zahl, aber sie spiegelt damit Kurz‘ eigenen Umgang mit Zahlen und er hat keine Antwort auf seine eigene Strategie.
Und anstatt es an dieser Stelle weiter zu eskalieren bleibt Wachter sachlich und gibt erneut den Takt vor indem sie bestimmt wann das Thema gewechselt wird. Ganz abrupt zu Corona. Und auch das schmeckt ihm nicht. Süffisantes Händeklatschen und Schulterzucken.
Sein lakonisches „Das ist eine Herausforderung“ auf eine sehr harmlose Frage zeigt, dass er Wachter nicht ernst nimmt und nicht mehr mit ihr reden möchte. Er tut so als wäre das eine blöde Frage. Zieht sich durch den ganzen Themenkomplex. Er will nicht mehr.
Immer wieder kontert er mit Übertreibungen (es gibt keine Akte wo sie die letzten 24 Stunden waren), Paternalismus und Arroganz. Er ringt aber auch hier mit seiner Rolle. Das ist das Spannende an diesem Itv. Er versucht sich wieder zu fangen, aber es bricht immer wieder weg.
Als Nebenschauplatz ist auch interessant, dass der Corona-Frame noch immer ein Angstframe ist bei Kurz. „Wenn Sie die Quarantäne brechen, dann kommt die Polizei und es gibt hohe Strafen“ statt „Schützen wir uns gegenseitig. Sind wir gut zu einander“ (Solidaritätsframe)
Er handelt die restlichen Corona-Fragen ab, versucht hier aber keine Punkte mehr zu setzen. An dieser Stelle möchte er es nur noch zu Ende bringen. Der letzte Kniff mit dem Polizei-Angst-Frame gehört aber wieder Wachter indem sie ihn fragt was Widersetzen der Maskenpflicht kostet.
Er laviert hier wieder sehr lang herum bis er sagt 25€. Das kontrastiert das zuvor gezeichnete Angst-Bild enorm. Am Ende stehe läppische 25€. Hier haben wir fast spiegelgleich die Situation mit dem EU-Beitrag. Wachter schwächt mit Zahl Kurz‘ Narrative ab.
Das wars. Man könnte noch sehr sehr viel mehr dazu sagen, ich weiß es war schon sehr lang von meiner Seite. Ein ungewöhnliches Itv. Nicht nur wegen d Hirn-Sager. Wachter hat die Kontrolle nie abgegeben u sich nie auf das kurz’sche Spielfeld ziehen lassen, sondern selbst abgesteckt.
Hier zeigt sich was passiert, wenn man sich nicht nur inhaltlich vorbereitet, sondern auch rhetorisch und strategisch. Es geht eben nicht nur um das „bessere Argument“, sondern unter welchem Gesichtspunkt was angesprochen und verhandelt wird. Da können Viele was lernen.