Okay, schauen wir uns den Auftritt von Sebastian Kurz in der ZIB 2 zum EU-Gipfel genauer an und was wir dabei über politische Kommunikation lernen können. Zum Mitschauen.
Sebastian Kurz macht das was er immer macht und sich als Narrativ durch seine ganze Kommunikation durchzieht: Er zeichnet eine Heldengeschichte. Gegen große Widerstände setzt er sich durch, um für Österreich das Beste herauszuholen. Das zeigt schon die 1. Antwort.
Kleiner Einschub, der NLP-Kniff „Sie wissen ja“ suggeriert, d Kurz hier nur eine allgemein anerkannte Wahrheit ausspricht. Damit bereitet er d Feld auf. So ist es u darüber gibt es keine Diskussion. Weil ja sogar Armin Wolf zustimmt (obwohl er das nicht tut, das ist das perfide)
Also nachdem er das Feld mit „Sie wissen ja“ abgesteckt hat sind wir schon in den ersten Sekunden auf seinem Diskursfeld. Wir wissen jetzt Alle, dass es so ist, wie Kurz es ausspricht und nur Frankreich und Deutschland immer alles bestimmen. Ö hatte nie was zu melden.
Hier bewegen wir uns nicht mehr auf der Ebene von Fakten sondern von Gefühlen. Die bösen übermächtigen mobbenden arroganten großen Länder haben sich es immer ausgedealt und die Kleinen waren immer außen vor. Und unter gr Anstrengung hat Kurz es geschafft dem ein Ende zu bereiten.
Schon in der ersten Antwort macht er noch einen oft bemühten Kniff: Er kämpft gegen etwas, das nie behauptet wurde. So ist die Reduktion der Zuschüsse nicht einfach Gegenstand normaler Verhandlungen, sondern war „undenkbar“. Bis er es erreicht hat.
Man muss sich hier ja in die Position von semi-politinteressierten Menschen begeben. EU-Gipfel sind weit weg und was da im Detail passiert und ob Zuschüssen, Kredite oder was auch immer verhandelt werden ist den Meisten völlig egal. Es geht darum ein Gefühl zu vermitteln.
Und das Gefühl, das Kurz hier schon in der ersten Antwort vermittelt ist dass David (er/Ö) dem übermächtigen Goliath etwas abgerungen hat, dass dieser nicht bereit war herzugeben. Es ist kein gemeinsamer Verhandlungserfolg mehr, sondern ein gewonnener Kampf.
Als Nächstes macht er etwas was ich mir tatsächlich auch v progressiven Politiker_innen wünschen würde: Er steckt ganz klar gegensätzliche Interessen ab. Ja, Zuschüsse bringen kriselnden Ländern mehr, wir haben nur kein Interesse d Länder zu unterstützen. Auch hier Polarisierung
Er spricht despektierlich v „den Südländern“. Er sieht sie als Gegner_innen u nicht als Partner_innen. Kurz zieht also 2 Hierarchieebenen ein: Fr/D vs uns da unten u die (implizit faulen/sich nicht im Griff habenden) südlichen Länder gegen uns braven/gut haushaltenden Nordländer
Und da sind wir genau in d Viereck, das Sebastian Reinfeldt (wo ist er denn, warum kann ich ihn nicht taggen?) für rechtspopulistische Rhetorik abgesteckt hat. Wir Braven, Fleißigen, Frugalen vs die da oben u gegen die Unfleißigen. Es ist genau so wie Haider auch kommuniziert hat
Bemerkenswert ist auch, dass man ihn mit Fakten und Zahlen nicht festnageln kann, da er es sofort ins Gegenteil verkehrt. Wolf versucht es indem er bekrittelt, dass Ausgaben für Forschung und Klimaschutz gekürzt (no pun intended) wurden. Kurz macht daraus das Gegenteil.
Die Ausgaben seien sogar gestiegen. Als Zuseher_in weiß ich jetzt nicht mehr was wahr ist (es kann auch Beides wahr sein: absolute Zahl gestiegen vs anteilsmäßig gesunken), und das reicht schon. Denn damit wurde eine potentiell schlechte Sache entkräftet.
Andere Politiker_innen würden hier vielleicht mit Details, „das kommt darauf an“, „es ist kompliziert“ antworten. Kurz behauptet einfach das Gegenteil. Er verliert sich nicht in komplexen Details, sondern bietet Klarheit. (Und schafft damit Unklarheit)
Kritik v Kogler kontert er indem er sich in eine ü den Dingen stehenden Erzählerposition begibt. Er ist auch hier nicht m Kogler auf e Ebene sondern moderiert milde Koglers Kritik weg (Kogler ist zufrieden, muss das so machen, sieht das auch so) – keine inhaltl Auseinandersetzung
Bei der Frage nach der Bindung an Rechtsstaatlichkeit nimmt er wieder die Underdogposition ein und macht etwas, was er sehr häufig macht. Er spricht von einer „merkwürdigen Situation“. Mit dieser bewusst vagen Formulierung (statt offen Kritik zu üben) suggeriert er Überraschung
Also plötzlich ist etwas passiert mit dem nicht zu rechnen war – Merkel und Macron (die bösen da oben) haben sich mit Orbán und Co zusammengetan und gegen diese Übermacht konnte auch er nichts ausrichten. Es immer die Rhetorik eines Kampfes, nie die eines Kompromisses.
„Merkwürdige Situation“ verwendet er zb auch, wenn die Opposition Kritik übt und er suggeriert es gäbe jetzt eine Koalition Rot-Blau-Pink. Oder wenn die SPÖ irgendetwas macht. Ein ganz normaler Vorgang wird damit zu etwas Außergewöhnlichem (und Inakzeptablen). Achtet mal darauf.
Dieser Kniff ist weniger angriffig, als direkt zu kontern und (ihr erratet) es setzt andere Ebenen, nämlich keine auf Augenhöhe. Kurz begibt sich nie auf Augenhöhe in seiner Rhetorik. Er ist der Unterdrückte, der, der es besser weiß/kann und er nimmt sich ganz raus.
Er erklärt dann sehr anschaulich wie aus seiner Sicht solche Sitzungen ablaufen (er interviewt sich selbst wie @lafilledevienne so schön bemerkt hat). Hier hat er wieder Erzählerposition. Gleichzeitig verstärkt es die Heldengeschichte. Wir machen uns sehr-und hörbar vs Übermacht
Ein gekonnter Untergriff noch auf Macron: Der große übermächtige Franzose, der sich nicht durchsetzen konnte war angeschlagen (Schlafmangel wird süffisant als Grund genannt). Das evoziert Bilder eines Königs, der nicht mit dem Schnippchen gerechnet hat, das ihm geschlagen wurde
Solche Bilder zementieren die Rolle des sympathischen, pfiffgen Underdogs ein, der die Großen da Oben ins Wanken gebracht hat. Das womit niemand gerechnet hat ist durch die List des Underdogs eingetreten. So aufregend kann ein EU-Gipfel sein. The world turned upside down.
Am Ende gibt sich Kurz aber wieder nahbar und freundschaftlich – selbst alle Anderen haben anerkennen müssen wie schlau und listig er doch war. Er bekommt sogar Respekt von seinen Gegner, weil es so eine Leistung war, die er vollbracht hat.
Sind wir uns ehrlich: Irgendwelche Eu-Budget-Verhandlungen sind zu 99% ein wirklich langweiliges Thema und niemand von uns belastet sich wirklich m Details. Kurz macht aus dieser öden Angelegenheit eine Abenteuergeschichte. Der schlaue Held schlägt den Mächtigen ein Schnippchen.
Gleichzeitig schaut er, dass unser Geld nicht verprasst wird und sanktioniert auch noch die weniger Fleißigen. Das sind ganz einfache literarische Narrative wie aus einer Sage oder einem Märchen. Und deswegen funktioniert das so viel besser als Fakten, Zahlen, Details.